Kommentar
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978-3-8145-8700-4
Kübler/Prütting/Bork/Jacoby (Hrsg.), InsO: Kommentar zur Insolvenzordnung
2015
Artikel 40
Pflicht zur Unterrichtung der Gläubiger
(1) Sobald in einem Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, unterrichtet das zuständige Gericht dieses Staates oder der von diesem Gericht bestellte Verwalter unverzüglich die bekannten Gläubiger, die in den anderen Mitgliedstaaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz haben.
(2) 1Die Unterrichtung erfolgt durch individuelle Übersendung eines Vermerks und gibt insbesondere an, welche Fristen einzuhalten sind, welches die Versäumnisfolgen sind, welche Stelle für die Entgegennahme der Anmeldungen zuständig ist und welche weiteren Maßnahmen vorgeschrieben sind. 2In dem Vermerk ist auch anzugeben, ob die bevorrechtigten oder dinglich gesicherten Gläubiger ihre Forderungen anmelden müssen.
Literatur: Balz, Das neue Europäische Insolvenzübereinkommen, ZIP 1996, 948; Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, S. 32 (zit.: Erläuternder Bericht).
Übersicht
I. Normzweck II. Anwendungsbereich III. Voraussetzungen für die Unterrichtung der Gläubiger (Abs. 1) IV. Inhalt der Unterrichtung (Abs. 2) V. Verletzung der Unterrichtungspflicht VI. Umsetzung in DeutschlandI. Normzweck
1Art. 40 schafft in Absatz 1 eine Pflicht zur Unterrichtung der bekannten Gläubiger, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Form und Inhalt der Unterrichtung werden in Absatz 2 festgelegt. Es handelt sich bei der Vorschrift für beide Regelungsbereiche um eine Sachnorm, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar gilt.1 Die Vorschrift dient dem Schutz der Gläubiger und verbessert deren Teilnahmemöglichkeiten.
II. Anwendungsbereich
2Art. 40 gilt für Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1, die in allen Mitgliedstaaten universelle Wirkung entfalten. Die Vorschrift gilt aber auch im gleichen Maße für Partikularverfahren nach Art. 3 Abs. 2–4, die nur auf das im Staat der Verfahrenseröffnung belegene Vermögen wirken.2
III. Voraussetzungen für die Unterrichtung der Gläubiger (Abs. 1)
3Vorausgesetzt wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat. Es muss sich dabei um eine Verfahren i. S. d. Art. 2 Buchst. a handeln.3
4Absatz 1 erfasst die Gläubiger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Eröffnungsstaat haben. Für die Bestimmung der Begriffe gewöhnlicher Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz können die Grundsätze herangezogen werden, die zu den inhaltsgleichen Begriffen in Art. 3 Abs. 4 Buchst. b und Art. 39 entwickelt wurden.4 Die Unterrichtung der Gläubiger, die dagegen im Eröffnungsstaat ansässig sind, richtet sich nach dem Insolvenzstatut.5 Gleiches gilt hinsichtlich der Unterrichtung der Gläubiger, die in Drittstaaten ansässig sind.
5Absatz 1 begründet die Pflicht zur Unterrichtung der bekannten Gläubiger. Art. 40 enthält zwar keine Angaben dazu, wie die Gläubiger dem zuständigen Gericht oder dem Verwalter bekannt werden. Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Art. 40 als Pflicht sowie unter Berücksichtigung des Zwecks der Norm ist die Vorschrift in dem Sinne auszulegen, dass die Gläubiger unterrichtet werden müssen, die der zuständigen Stelle bekannt sein können.6 Maßgebend werden dafür die Auskünfte des Schuldners oder seine Geschäftsunterlagen sein. Weitergehende Ermittlungspflichten lassen sich der Vorschrift nicht entnehmen. Vielmehr lässt der ausdrückliche Hinweis auf die „bekannten“ Gläubiger darauf schließen, dass keine neuen Amtsermittlungspflichten geschaffen worden sind.7
6Unterrichtungsverpflichtet ist das zuständige Gericht oder der Insolvenzverwalter. Welche dieser beiden Stellen im Einzelfall zuständig ist, folgt aus der lex fori concursus.8
7In zeitlicher Hinsicht entsteht die Pflicht der zuständigen Stelle, „sobald“ das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Feststellung der bekannten Gläubiger, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, muss von der zuständigen Stelle also in einem engen Zusammenhang mit der Eröffnung des Verfahrens vorgenommen werden. Darüber hinaus hat die zuständige Stelle die Unterrichtung „unverzüglich“ vorzunehmen. Der Begriff wird derart verstanden werden können, dass die Unterrichtung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss.9
IV. Inhalt der Unterrichtung (Abs. 2)
8Absatz 2 regelt Form und Inhalt der Unterrichtung der bekannten ausländischen Gläubiger. Absatz 2 setzt die schriftliche Unterrichtung voraus.10 Die Unterrichtung erfolgt durch die Übersendung eines individuellen Vermerks. Jeder Gläubiger muss eine eigene Benachrichtigung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten (zur zu wählenden Sprache siehe Art. 42 Abs. 1). Die Art der Übersendung durch die zuständige Stelle richtet sich nach dem Insolvenzstatut. Soweit einzelstaatlich eine förmliche Zustellung gefordert wird, kann die EuZVO11 nicht angewendet werden. Ihr Anwendungsbereich bezieht sich auf Zivil- und Handelssachen. Im Sinne einer kohärenten Auslegung des Gemeinschaftsrechts wird der Begriff der Zivil- und Handelssache ebenso wie in der EuGVVO verstanden werden müssen, so dass Insolvenzverfahren vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind.12
9Absatz 2 bestimmt Mindestangaben für den Vermerk13: Es handelt sich dabei um die einzuhaltenden Fristen, die Versäumnisfolgen, die Benennung der für die Entgegennahme von Anmeldungen zuständigen Stelle und etwaige Anmeldemodalitäten für bevorrechtigte oder dinglich gesicherte Gläubiger. Die konkreten Inhalte dieser Mindestangaben ergeben sich aus dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Daneben können die weiteren, nach dem Insolvenzstatut vorgeschriebenen Hinweise zur Unterrichtung von Gläubigern in den Vermerk mit aufgenommen werden.14
V. Verletzung der Unterrichtungspflicht
10Soweit durch die Verletzung der Unterrichtungspflicht beim betroffenen Gläubiger ein Schaden eintritt, ergeben sich die Rechtsfolgen aus der lex fori concursus. Gegebenenfalls kann eine Haftung des Insolvenzverwalters in Betracht kommen. Die Verletzung der ihm obliegenden Unterrichtungspflicht wird als eine Verletzung einer insolvenzspezifischen Pflicht anzusehen sein und etwa die Insolvenzverwalterhaftung nach § 60 InsO auslösen können.15 Soweit die Unterlassung des Insolvenzgerichts in Rede steht, richtet sich diese im deutschen Recht nach den allgemeinen Regeln.16
VI. Umsetzung in Deutschland
11Art. 102 § 11 EGInsO regelt die Unterrichtung im Rahmen eines in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahrens. Zuzustellen sind den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gläubigern der Eröffnungsbeschluss sowie ein Hinweis, mit dem sie über die Folgen einer nachträglichen Forderungsanmeldung nach § 177 InsO unterrichtet werden. Im Eröffnungsbeschluss sind nach §§ 27 und 28 InsO die von Absatz 2 geforderten Angaben hinsichtlich der Fristen, der zuständigen Stelle sowie der gesicherten Gläubiger enthalten.
- 1
- 1)Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 40 Rz. 1; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 1.
- 2
- 2)Paulus, EuInsVO, Art. 40 Rz. 2; Balz, ZIP 1996, 948, 955.
- 3
- 3)Vgl. zum Begriff „Hauptinsolvenzverfahren“: KPB/Kemper, Art. 2 Rz. 2 ff.
- 4
- 4)Vgl. KPB/Kemper, Art. 3 Rz. 41; Art. 39 Rz. 4.
- 5
- 5)Nr. 271 des Erläuternden Berichts, S. 32, 122 f.
- 6
- 6)In diesem Sinne auch MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 5.
- 7
- 7)Im Ergebnis ebenso: MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 5; Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 40 Rz. 6, will dies der lex fori concursus überlassen.
- 8
- 8)Bei Fehlen einer nationalen Regelung leitet Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 40 Rz. 14, aus der EuInsVO die Unterrichtungspflicht beider Stellen ab. Dies verkennt den klaren Wortlaut, der von einer Alternativität ausgeht.
- 9
- 9)Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 40 Rz. 2; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 6.
- 10
- 10)Paulus, EuInsVO, Art. 40 Rz. 4.
- 11
- 11)Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schrift-stücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1348/2000 des Rates, ABl L 324/79.
- 12
- 12)Für die Auslegung der EuZVO Schlosser, 3. Aufl., Art. 1 EuZVO Rz. 2; im Ergebnis wie hier Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 40 Rz. 9; Smid/Smid, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 7; a. A. für die Anwendbarkeit der EuZVO Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 40 Rz. 9 ff.
- 13
- 13)Nr. 272 des Erläuternden Berichts, S. 32, 122 f; Paulus, EuInsVO, Art. 40 Rz. 5.
- 14
- 14)Nr. 272 des Erläuternden Berichts, S. 32, 122 f; Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 40 Rz. 13.
- 15
- 15)Smid/Smid, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 5; für eine analoge Anwendung des § 60 InsO Pannen/Riedemann, EuInsVO, Art. 40 Rz. 18; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 14.
- 16
- 16)Smid/Smid, InsO, 2. Aufl., Art. 40 EuInsVO Rz. 5.