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Kemper – 40. Lfg. 05.2010 – EUINSVO Artikel 24 – Leistung an den Schuldner
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG © RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG 978-3-8145-8700-4 Kübler/Prütting/Bork/Jacoby (Hrsg.), InsO: Kommentar zur Insolvenzordnung 2015 Artikel 24 Leistung an den Schuldner
(1) Wer in einem Mitgliedstaat an einen Schuldner leistet, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, obwohl er an den Verwalter des Insolvenzverfahrens hätte leisten müssen, wird befreit, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war.
(2) 1Erfolgt die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung nach Artikel 21, so wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung nicht bekannt war. 2Erfolgt die Leistung nach der Bekanntmachung gemäß Artikel 21, so wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung bekannt war.
Literatur: Reinhart, Die Bedeutung der EuInsVO im Insolvenzverfahren – Besonderheiten paralleler Eröffnungsverfahren, NZI 2009, 201; Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, S. 32 (zit.: Erläuternder Bericht).

Übersicht

I. Normzweck II. Voraussetzungen für die Schuldbefreiung (Abs. 1) 1. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens 2. Bestehen einer Forderung des insolventen Schuldners 3. Leistung an den Schuldner 4. Unkenntnis der Verfahrenseröffnung III. Beweiserleichterung (Abs. 2) 1. Öffentliche Bekanntmachung nach Artikel 21 2. Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung 3. Leistung nach der öffentlichen Bekanntmachung IV. Rechtsfolge

I. Normzweck

1
Art. 24 bezweckt den Schutz desjenigen, der in Unkenntnis eines in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten und anzuerkennenden Insolvenzverfahrens an den Insolvenzschuldner leistet. Trotz der automatischen Wirkungserstreckung des eröffneten Verfahrens in allen Mitgliedstaaten, muss das Insolvenzverfahren nicht bei allen Gläubigern bekannt sein, zumal wenn sie beispielsweise nicht automatisch in allen Mitgliedstaaten bekannt gemacht wird (vgl. Art. 21). Art. 24 schützt dennoch den gutgläubig Leistenden.
2
Es handelt sich dabei um eine Sachregelung,1 die unmittelbar in allen Mitgliedstaaten wirkt. Sie gilt sowohl für den Fall des eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 als auch für den Fall des eröffneten Partikularverfahrens nach Art. 3 Abs. 2.2 Keine Anwendung findet Art. 24 bei Leistungen an den Schuldner in Drittstaaten.3

II. Voraussetzungen für die Schuldbefreiung (Abs. 1)

1. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

3
Voraussetzung ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners in einem Mitgliedstaat. Insolvenzverfahren sind die nach Art. 2 Buchst. a in Anhang A genannten Verfahren.4

2. Bestehen einer Forderung des insolventen Schuldners

4
Es wird das Bestehen einer Forderung des insolventen Schuldners gegen den Drittschuldner vorausgesetzt. Absatz 1 erfasst nur die Forderungen, die mit der Verfahrenseröffnung zu Forderungen der Insolvenzmasse geworden sind. Dies folgt aus der Formulierung, dass die Leistung an den Verwalter hätte erfolgen müssen. Die lex fori concursus bestimmt, ob eine Leistung an den Verwalter erfolgen muss.5 Denn dieses Recht bestimmt den Umfang der Masse (Art. 4 Abs. 2 Buchst. b).

3. Leistung an den Schuldner

5
Der Drittschuldner muss in einem anderen Mitgliedstaat als dem Eröffnungsstaat an den Insolvenzschuldner leisten. Unter der Leistung ist die Handlung des Drittschuldners zu verstehen, die mit dem Willen zur Erfüllung der bestehenden Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner erbracht wird.6 Erfasst werden Teilleistungen sowie die vollständige Erfüllungsleistung. Immanent ist dem Begriff der Leistung, dass die Erfüllungswirkung nach der lex causae auch eintritt.7 Ansonsten käme es zu keiner Schmälerung der Masse des eröffneten Verfahrens.
6
Der Leistungsort muss in einem anderen Mitgliedstaat als dem Eröffnungsstaat liegen. Darunter ist der Ort zu verstehen, an dem der Drittschuldner die Leistung tatsächlich erbringt.8

4. Unkenntnis der Verfahrenseröffnung

7
Weiter muss dem Drittschuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner in dem anderen Mitgliedstaat unbekannt sein. Nur die positive Kenntnis der Verfahrenseröffnung schadet.9 Die folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift („bekannt war“) sowie aus Erwägungsgrund 30, der von „Kenntnis“ bzw. „Unkenntnis“ spricht. Insoweit trifft den Drittschuldner die Beweislast.

III. Beweiserleichterung (Abs. 2)

1. Öffentliche Bekanntmachung nach Artikel 21

8
Absatz 2 schafft Beweiserleichterungen für den Drittschuldner. Die Vorschrift enthält zwei Vermutungen, die jeweils an die öffentliche Bekanntmachung nach Art. 21 anknüpfen. Die öffentliche Bekanntmachung muss eine Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung in dem Mitgliedstaat sein, in dem der Gläubiger entweder den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat oder der Leistungsort liegt.10 Die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung stellt als objektives Merkmal einen Bestandteil der Vermutungsbasis dar. Darauf kann die Vermutung nur dann sinnvollerweise gestützt werden, wenn dieses Merkmal dem Leistenden bekannt werden kann. Dies ist nicht der Fall bei der Bekanntmachung in irgendeinem Mitgliedstaat, der weder Staat des Mittelpunktes noch des Leistungsortes ist, noch bei der Bekanntmachung im Eröffnungsstaat.

2. Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung

9
Wenn die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung nach Art. 21 erfolgt, wird nach Absatz 2 Satz 1 bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass dem leistenden Drittschuldner die Eröffnung nicht bekannt war. Diese Vermutung wirkt zugunsten des Drittschuldners. Er muss darlegen, dass seine Leistung vor einer Veröffentlichung nach Art. 21 erfolgte. Bei Vorliegen dieser Tatsachen, wird vermutet, dass er die Verfahrenseröffnung nicht kannte. Diese Vermutung kann vom Insolvenzverwalter entkräftet werden. Absatz 2 Satz 1 lässt dazu den Gegenteilsbeweis zu. Danach muss der Verwalter nachweisen, dass der Leistende die Verfahrenseröffnung kannte.11

3. Leistung nach der öffentlichen Bekanntmachung

10
Ebenfalls anknüpfend an die Bekanntmachung nach Art. 21 greift die zweite Beweiserleichterung ein: Wenn die Leistung nach der Bekanntmachung nach Art. 21 erfolgt, so wird nach Absatz 2 Satz 2 bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der leistende Drittschuldner die Eröffnung gekannt hat. Nunmehr wirkt die Vermutung zu Lasten des Drittschuldners. Der klagende Insolvenzverwalter hat darzulegen, dass die Leistung an den Insolvenzschuldner nach der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung nach Art. 21 erfolgt ist. Auf dieser Basis wirkt die Vermutung, dass der Leistende die Verfahrenseröffnung kannte. Diese Vermutung kann nun vom Leistenden im Wege des Gegenteilsbeweises entkräftet werden. Dazu muss er darlegen und beweisen, dass er die Verfahrenseröffnung nicht kannte. Dieser Negativbeweis dürfte in der Regel nur sehr schwer zu führen sein.12

IV. Rechtsfolge

11
Als Rechtsfolge ordnet Absatz 1 an, dass der gutgläubige Drittschuldner befreit wird. Die Forderung des insolventen Schuldners erlischt, die Leistung hat dann also schuldbefreiende Wirkung.13 Der Drittschuldner muss folglich nicht nochmals an den Verwalter leisten.14 Etwas anders gilt allerdings dann, wenn der leistende Drittschuldner seine Gutgläubigkeit nicht in dem von Absatz 2 gebotenen Maße nachweisen kann. Dann muss er nochmals, und nun an den Verwalter leisten. Keine Regelung trifft Absatz 1 dazu, ob die gutgläubig an den Insolvenzschuldner erbrachte Erfüllungsleistung der Masse zusteht. Dies regelt sich nach dem Recht des Eröffnungsstaates.
1
1)
MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 1; Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 24 Rz. 2; Smid/Smid, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 3; Paulus, EuInsVO, Art. 24 Rz. 1; Reinhart, NZI 2009, 201, 203.
2
2)
Paulus, EuInsVO, Art. 24 Rz. 3.
3
3)
MünchKomm-Kindler, BGB, 4. Aufl., IntInsR, Rz. 551.
4
4)
KPB/Kemper, Art. 2 Rz. 2 ff; Reinhart, NZI 2009, 201, 203, will den Anwendungsbereich in analoger Anwendung auf das Eröffnungsverfahren erstrecken.
5
5)
Paulus, EuInsVO, Art. 24 Rz. 3; MünchKomm-Kindler, BGB, 4. Aufl., IntInsR, Rz. 554.
6
6)
MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 2.
7
7)
Ähnlich MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 5.
8
8)
Nr. 187 des Erläuternden Berichts, S. 32, 97; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 6, 7; Paulus, EuInsVO, Art. 24 Rz. 2; Gruber, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 24 Rz. 2; a. A. MünchKomm-Kindler, BGB, 4. Aufl., IntInsR, Rz. 556, der wegen der vorausgesetzten Erfüllungswirkung die tatsächliche Leistung an dem Ort fordert, an dem sie rechtlich hätte erbracht werden müssen; ähnlich wohl Wimmer/Wenner/Schuster, InsO, 5. Aufl., Anhang 1 nach § 358, Art. 24 EuInsVO Rz. 5.
9
9)
Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 24 Rz. 5; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 10; kritisch Paulus, EuInsVO, Art. 24 Rz. 4, der den Fahrlässigkeitsmaßstab zur Erreichung des Ziels der Gläubigergleichbehandlung vorziehen würde.
10
10)
Nr. 187 des Erläuternden Berichts, S. 32, 97; Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 24 Rz. 11; Gruber, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 24 Rz. 6; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 11.
11
11)
Nr. 187 des Erläuternden Berichts, S. 32, 97; Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 24 Rz. 14.
12
12)
MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 13; Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 24 Rz. 17.
13
13)
Nr. 187 des Erläuternden Berichts, S. 32, 97.
14
14)
MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 24 EuInsVO Rz. 14; Paulus, EuInsVO, Art. 24 Rz. 5.

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